Innitzer und Weinbacher schildern der Sturm der HJ auf das Palais
Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer, Mitglied der K.Ö.St.V. Vindobona I-Wien, K.Ö.H.V. Nordgau Wien, K.Ö.L. Maximiliana, et mult. schildert den Sturm auf das erzbischöfliche Palais:
Am Samstag, den 8. Oktober gegen 20.10 hörte ich auf dem Stephansplatz vor dem erzbischöflichen Palais, lautes Schreien und Rufen von einer Menschenmenge, die sich dort zusammengerottet hatte.
Ich habe mich selbst davon überzeugt und gehört, wie die Menschenmenge vor dem Palais das Deutschland- und Horst Wessellied gesungen hat und Drohrufe gegen meine Person ausstieß. Ich bin auf das hinauf vom Fenster weg, habe sofort angeordnet, dass das Überfallskommando der Schutzpolizei („A I 22“) angerufen wird, was auch tatsachlich geschehen ist. Unterdessen, bzw. kurz nachher wurden bereits Steine und andere Gegenstände gegen meine Fenstergeworfen, so dass die Fensterscheiben zerbrachen. Außerdem versuchten Personen, aus der vor dem Palais angesammelten Menge, das Tor des Palais einzudrücken, was ihnen nach ungefähr einer Viertelstunde gelungen ist. Die Menge, die sich zumeist aus Burschen im After von 15 bis 20 Jahren zusammengesetzt, stürmte ins Haus, durch den Hof gegen die Hauptstiege, worauf ich meine Amtsräume verlassen habe. Ich hörte dann, wie die in meinen Amtsräumen eingedrungenen Personen die Fenster einwarfen, hörte Geklirre und Gepolter sowie Pfeifen und Rufe. – Meiner Meinung nach befanden sich die in meine Amtsräume eingedrungenen Personen mindestens 40 Minuten in ihnen.
Plötzlich hörte ich einen Pfiff, worauf Stille eintrat. Ich bin dann mit inzwischen eingetroffenen Polizeibeamten, die mich mit meinen Sekretären gesucht hatten, in meine Amtsräume zurückgekehrt und habe dort dieselben in grauenhafter Verwüstung angetroffen. Ich konnte sofort feststellen, dass aus meinem Besitz folgende Gegenstände fehlten:
- Ein Talar,
- zwei Gehröcke,
- zwei Überzieher,
- ein Havelock,
- ein Paar rote Schnallenschuhe,
- ein Bischofshut,
- ein steifer Hut,
- drei rote Biretten,
- drei rote Käppchen,
- eine violette Stola,
- ein Pektorale mit goldener Kette (Bischofskreuz),
- zwei Bischofsringe, darunter der dem Kardinal bei seiner Ernennung vom Hl. Vater überreicht wurde; in diesem Ringe befindet sich das Wappen des Papstes,
- eine Goldfüllfeder,
- zwei Geldbörsen mit Geldinhalt,
- einige Kistchen mit Zigarren und Zigaretten,
- eine Holzplastik, Mariazeller Madonna, ein Schlüsselbund.
Weiters wurden in meinen Räumen, von der polizeilichen Kommission festgestellten (sic!) Schäden und Devastierungen vorgenommen. Insbesondere die Beschädigung der religiösen Bilder und Kreuze, wobei ich besonders darauf hinweise, dass die Elfenbeinkreuze, die außerdem von hohem künstlerischem Wert sind, fast alle zertrümmert wurden. Ferner wurde ein von mir am 8. Oktober 1938 geweihter Kelch, der verpackt war, aus der Verpackung herausgerissen, beschädigt und in den Hof geworfen.
Ich ergänze meine Angaben noch dahin, dass aus dem Beratungszimmer (Konsistorialsaal) ein grünes Bespannungstuch des Tisches im Werte von 260 Mark gleichfalls abhanden gekommen war.
Quelle: Fritz, Herbert/Krause, Peter (2013): Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung. (ÖVfStg, 2013) S. 31/32.
Der Sekretär und Bundesbruder von Kardinal Innitzer, Jakob Weinbacher, Mitglied der K.Ö.St.V. Vindobona I-Wien, K.Ö.St.V. Nibelungia, K.Ö.L. Maximiliana et mult. erinnert sich an Sturm der HJ auf des Erzbischöfliche Palais:
Ich saß etwa um 20.15 Uhr mit meinem Kollegen, Zeremoniär Franz Jachym, in meinem Zimmer, das seine Fenster gegen den Hof zu hat.
Plötzlich hören wir vom Stephansplatz her durch die geöffneten Fenster aufregende Rufe und Sprechchöre, im nächsten [Augenblick] auch schon Klirren von Fensterscheiben. Gleich darauf telefoniert mir Se. Eminenz: „Auf dem Stephansplatz sind eine Menge Jugendlicher versammelt. Sie schlagen uns die Fensterscheiben ein. Rufen Sie die Polizei!“ Ich betätige den Polizei-Notruf „A I 22“ und erhalte die Antwort: „Wir kommen“. Dann begab ich mich in das Zimmer Sr. Eminenz: Auf dem Weg über den Hof höre ich das Schreien, gleichzeitig vernehme ich starke Stöße gegen das Tor, Stephansplatz 7. Ich höre Rufe „Ho-ruck“, dann ein Krachen und Splittern und draußen ein Triumphgeschrei; sie sind eingedrungen.
Die Demonstranten stürmten schreiend in den Hof, zertrümmern, was ihnen in den Weg kommt. Wir dirigieren die geistlichen Schwestern, die den Haushalt des Herrn Kardinals führen, auf den Dachboden und weisen sie an, sich dort zu verstecken. Den Kardinal bringen wir in Sicherheit in das Matrikenarchiv und verschließen hinter ihm die eiserne Tür, dann nehmen wir zwei Priester, die wir uns einer Menge von Eindringlingen gegenübersehen, Aufstellung vor der Tür der Hauskapelle des Kardinals, wenigstens hier eine Zerstörung zu verhindern. Kurz nachdem wir bei der Kapelle angelangt sind, stürmen auch schon die Eindringlinge in die Räume des Kardinals, an die die Kapelle angrenzt. Gleich bei der Tür wehrten wir sie ab. Holzstücke fliegen in die Kapelle herein, ich erhalte einen Stoß, dass ich stürze, doch können wir den Eintritt in die Kapelle wehren. Die Demonstranten sind Jugendliche im Alter von 14–25 Jahren, etwa 100 an der Zahl. Nachdem wir den ersten Trupp abgewehrt haben, öffnen wir den Tabernakel und konsumieren die hl. Hostien, um das Allerheiligste vor Verunehrung zu schützen.
Inzwischen geht in den übrigen Räumen eine Zerstörungswut, die nicht zu beschreiben ist, gegen alle Einrichtungsgegenstände vor sich. Mit den Messingstangen, die den Teppich im Stiegenhaus halten, zerschlagen die Burschen Tische und Stühle, alle Luster und die wertvollen Ölgemälde, besonders alle Kreuze. Die Spiegeltüren der Kapelle, die großen Venezianischen Spiegel, die Glastüren der schönen, alten Bücherschränke, alles wird kurz und klein geschlagen. Während wir immer im Handgemenge sind, glaubt mein Kollege, Zeremoniar Jachym, den Ruf zu hören: „Der Kardinal ist entdeckt!“ – Er sucht sich durchzuschlagen, kommt aber nicht durch die Räume, er erhält mit einem Bronzeleuchter einen Schlag auf den Kopf. Ich werde von etwa sechs Leuten aus der Kapelle gezerrt und durch das Vorzimmer zum Fenster geschleift, das auf die Rotenturmstraße geht. „Den Hund schmeißen wir beim Fenster aussi!“ Ich konnte mich doch durch die äußerste Kraftanstrengung gegen das Hinausweifen wehren. Ich kann mich auch losreißen und eile zur Kapelle zurück, wo sich ein Bursche gerade beim Altar zu schaffen macht. Dann ertönt auf einmal der Ruf „Zurück, Polizei kommt!“ Die Eindringlinge stürmen davon. Ein Polizist kommt, dann wieder einer, aber die Demonstranten können ungehindert das Palais verlassen. Zwischen dem ersten Notruf und dem Eintreffen der Polizei waren gut 40 Minuten vergangen. Wir holten dann Se. Eminenz aus dem Versteck und brachten ihn in seine zerstörten Räume. (Montag haben neun Personen vier Stunden nur die Scherben und Trümmer weggeräumt, 1.245 Fensterscheiben).
Quelle: Fritz, Herbert/Krause, Peter (2013): Farbe tragen, Farbe bekennen 1938–45. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung. (ÖVfStg, 2013) S. 29/30.